Zwischen Material, Form und Diskurs -
Einige Aspekte zu Werken von Petra Siering
Auszüge aus einer Rezension von Johannes Stahl (Ausstellungskatalog "MI Posselt", Köln 2000)
In Gegenüberstellungen begegnen sich Marmorblöcke, die nach ihrem Plan genau geschnitten wurden und partiell unbearbeitet blieben, mit einer aus Beton gegossenen Form, die sich an diesen Blöcken orientiert. über Vermessung und die Konstruktion einer Verschalung hat die Künstlerin die Vorgaben für den Nachguss der Marmorblöcke erzeugt. Eine Art Intervallschachtelung, eine aus kleinen Holzbrettern zusammengehaltene Modellprojektion nähert sich der vorgegebenen Form jeweils an, ohne sie jedoch wirklich erreichen zu können oder zu wollen. Schmale Grate, begradigte Konturen und technische Toleranzen erzeugen über die lesbare Spur der Re-Konstruktion oder das Material hinaus ein deutlich anderes Resultat; Die Betonblöcke setzen einen eigenen Entwurf neben die eher naturbelassenen Steinblöcke.
Von Petra Siering ist bekannt, dass sie diese in der Entstehung aufwändigen dreidimensionalen Arbeiten mit einer großen Anzahl von Zeichnungen auf Papier begleitet und bereitet. Die zunächst verschlossen scheinende, dann aber spannungsvolle Wirkung der Betonoberflächen, die Anordnung der Platten in "Zwei zu Zwei" zu sich entgegenstehenden Paaren, der bereits im Marmor angelegte drehende Charakter von "Torsion", die räumliche Komponente des Körpervolumens, sein Verhältnis zur Umgebung, alle diese Fragen und Setzungen der dreidimensionalen Blöcke begegnen den Betrachtern von Petra Sierings Zeichnungen vielfältig wieder.
Es treten spezifisch malerische Elemente hinzu, eine deutliche, aber nicht spekulative Farbe, die reflektiert ausgetragene Auseinandersetzung mit der eigenen Geste, die eigentümliche Zwiesprache zwischen Papier, Malmaterial und Malwerkzeug. Neben der freien zeichnerischen Geste entstehen architektonisch aussehende Linien, die sie entlang von Schalhölzern gezogen hat. Mit dem Spachtel erzeugt Petra Siering nicht nur massiv wirkende Farbflächen, sondern entfernt auf gleiche Weise die Farbe wieder aus dem Bildgefüge. So entstehen eigentümliche Schatten des malerischen Prozesses.
Die eigentümliche Stimmigkeit von Petra Sierings Arbeiten geht damit weit über ihren Ansatz am Material hinaus und mischt sich dabei durchaus in heutige Diskurse ein. Die viel diskutierte Idee der medialen Reproduzierbarkeit findet hier ihre Antwort im Rekonstruktions- und Gussprozess der Betonblöcke und deren Rückprojektion auf die ja ebenfalls "gemachte" Form der Marmorblöcke. Der Kreislauf zwischen Schalbrett, Lineal, Malmaterial, Malwerkzeug, Oberfläche und materieller Form bereichert die geläufige Diskussion um das Besondere künstlerischer Produktion um eine ebenso materialwirtschaftlich wie ideell denkbare Komponente und lässt mit jedem Blick auf die Existenz von Petra Sierings Arbeiten deren Dynamik wachsen.
Johannes Stahl